Bei der Caritasstelle in Buchen: Zahl der Ratsuchenden, die in wirtschaftlicher Not Hilfe brauchen, nimmt zu / Mehr Bildungsgerechtigkeit gefordert

Von FN-Redaktionsmitglied Maria Gehrig

Es klingt nicht gerade ermutigend: "Immer mehr Menschen aus der Mittelschicht sind armutsgefährdet". Diese Richtung nimmt Peter Zimmermann, Bezirksstellenleiter des Caritasverbandsverbands Neckar-Odenwald-Kreis in Buchen, in seiner täglichen Arbeit wahr.

Seine Beobachtungen decken sich mit den Ergebnissen der sozialarbeitswissenschaftlichen Studie der Caritas in den Diözesen Rottenburg-Stuttgart und Freiburg, die zeigt, dass in dem reichen Land Baden-Württemberg immer mehr Kinder in Armut leben. Die Tendenz, dass die Schere Arm - Reich immer weiter auseinandergeht, sei unverkennbar. In Baden-Württemberg leben 10,9 Prozent der Menschen in relativer Armut - das ist jeder elfte Bürger.

Der Neckar-Odenwald-Kreis zählt zu den Kreisen in Baden-Württemberg mit einem der geringsten Durchschnittseinkommen. Eine Entwicklung in der heutigen Arbeitswelt bereitet Peter Zimmermann deshalb große Sorge. Es sind befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeitarbeit und die Zahl der geringfügig Beschäftigten. Viele der Ratsuchenden, die in sein Büro kommen, gehören zu diesem Personenkreis, die mit Lebensumständen zu kämpfen haben, welche Armut begünstigen.

Für Zimmermann ist die Tatsache, dass immer mehr Erwerbstätige, denen ihr Einkommen nicht mehr für den Lebensunterhalt reicht, die Beratung der Caritas in Anspruch nehmen, ein unübersehbares Signal. Da sind die Hartz- IV-Empfänger noch gar nicht eingerechnet.

Zimmermann verdeutlicht, wie schnell ein Facharbeiter vom Erwerbstätigen zum Empfänger von Transferleistungen "durchgereicht" werden kann. In der Folge von Krankheit, einem Schicksalsschlag oder Kurzarbeit, die in der momentanen Wirtschaftskrise häufig anzutreffen ist, kommt es nicht selten vor, dass Betroffene beispielsweise Kindergartenbeiträge oder die Stromrechnung nicht mehr bezahlen können - eine große psychische Belastung für solche Familien.

Rasch ist das Konto überzogen, und der Dispo-Kredit greift. "Rücklagen kann so jemand überhaupt keine mehr bilden", verdeutlicht Zimmermann und fügt an: "Wer kann in diesem Land noch privat vorsorgen?"

Besonders betroffen von solchen finanziellen Notlagen sind Kinder. Sie sind häufig ausgeschlossen von Bildung, vom sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben, weil die Teilhabe daran Geld kostet, das nicht vorhanden ist. Nicht selten fehlen Bücher, ein Zugang zum Internet oder ein gewisser Betrag für Nachhilfe, die sich diese Familien oder Alleinerziehenden nicht leisten können. "Bildungsgerechtigkeit" ist für Peter Zimmermann deshalb der Schlüssel für Chancengleichheit.

Gelegentlich hat es der Caritas-Berater inzwischen mit Jugendlichen Anfang 20 zu tun, deren Eltern Hartz-IV-Empfänger sind und ihre Kinder deshalb nicht fördern können. Kein Schulabschluss, keine Ausbildung, kein Führerschein. Letzteres ist gerade im ländlichen Raum ein großes Handicap, wenn man irgendwo auf dem Dorf lebt.

Während in Armut lebende "bildungsnahe" Menschen noch die Fähigkeit haben, auf gewisse Dinge wie Bücher aus einer Bibliothek zurückzugreifen, können sich "bildungsferne Menschen" hier kaum helfen und kommen nicht mehr nach oben. "Wenn es nicht möglich ist, die Spirale nach unten zu stoppen, dann wird sich das Rad von Generation zu Generation immer in dieser Richtung drehen", erklärt der Bezirksstellenleiter.

Die Anzahl der Beratungen zum Thema Armut bei der Caritasstelle in Buchen steigt. Außerdem hat die Schwere der einzelnen Schicksale zugenommen, und sie sind vielschichtiger geworden. Ein Teil der Hilfesuchenden muss sogar das Eigenheim aus finanziellen Engpässen heraus verkaufen, was Zimmermann eindeutig mit der schlechten wirtschaftlichen Lage in Verbindung bringt.

Eine weitere Beobachtung stimmt ihn nachdenklich: "Die Zahl der Menschen nimmt zu, die gerade noch von der Hand in den Mund leben und die keine Reserven bilden können". Die Folge wird eine nicht zu unterschätzende Altersarmut sein. Das Caritas-Büro sieht sich als eine Art "Clearingstelle", die Wege aufzeigen will, die Situation notleidender Menschen zu verbessern. Dabei geht es in erster Linie um Existenzsicherung, Sozialberatung und die Weitervermittlung an die zuständigen Stellen.

Eine Brücke baut der Caritasverband mit seinen Tafelläden, wo Menschen mit geringem Einkommen einkaufen können. Die Zahl der Empfänger von Berechtigungsausweisen nimmt ständig zu, inzwischen sind es 500 allein in Buchen und Umgebung.

Zimmermanns Wahrnehmung zur Problematik - auch im Neckar-Odenwald-Kreis: "Armut verfestigt sich nicht nur bei Hartz-IV-Empfängern". Sein Fazit: "Man müsste viel mehr Geld in die Förderung von Kindern aus sozial schwachen Familien investieren, damit der negative Kreislauf durchbrochen wird!"

Quelle: Fränkische Nachrichten - 14. November 2009